Einblicke in die Mediationsausbildung – Interview mit Nicole Berse-Schaks

28 Mai Einblicke in die Mediationsausbildung – Interview mit Nicole Berse-Schaks

Unser heutiger Gast im EHV – Campus Backstage-Interview ist Nicole Berse-Schaks. Seit mehr als 10 Jahren vermittelt sie ihr Wissen zum Thema Mediative Kommunikation für die Bereiche Mediation, Coaching, Training in unseren Weiterbildungs-Programmen Mediation.

Menschen kommunizieren gut und weniger gut miteinander. In beruflichen Situationen sind schon kleine Missverständnisse die Grundlage für weitreichende Konflikte, die die Teamarbeit und eine konstruktive Zusammenarbeit gefährden. Nicole Berse-Schaks erzählt in unserem Interview über die Beweggründe, warum sie Mediatorin geworden ist, wer sie beeinflusst hat und warum sie davon überzeugt ist, dass die unterschiedlichen Lebensbereiche der Teilnehmer/innen die Seminare Mediation/Coaching und Training bereichern.

Nicole Berse-Schaks ist stellvertretende Direktorin des Instituts für Mediative Kommunikation und Diversity-Kompetenz (IMK), Gesellschafterin der Internationalen Akademie Berlin für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie GmbH (INA) und Mitglied der Ausbildungsleitung beim IMK.

Nicole Berse-Schaks

EHV: Wie sind Sie Mediatorin geworden?

Neben meiner juristischen Ausbildung habe ich nach Wegen und Möglichkeiten gesucht, Menschen in Konfliktlösungen konstruktiv zu begleiten. Ende der 90-iger Jahre bin ich zur Mediation gekommen. Es ist eine interessen-, bedarfs- und bedürfnisorientierte Methode, Menschen in konfliktbehafteten Situationen zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, einvernehmliche Lösungen für entstandene Spannungen mit Hilfe der Kommunikation zu finden.

Es ist verrückt, wie kleine Missverständnisse zu großen Konflikten führen.

EHV: Was ist das Verrückteste, das Ihnen bei Ihrer Arbeit passiert ist?

Nicole Berse-Schaks: Verrückt ist immer wieder, wie kleine Missverständnisse zu großen Konflikten führen. Beispielsweise habe ich mit Menschen in Teams, in Organisationen und Abteilungen gearbeitet, die seit Monaten, vielleicht sogar seit Jahren, nicht richtig konstruktiv miteinander kommunizieren.

Innerhalb eines Prozesses stelle ich fest, dass diese ganze Situation auf einem kleinen Missverständnis beruht, das zu Beginn dieser Konfliktsituation entstanden ist und sich daraus etwas entwickelt, das eine besondere Eigendynamik bekommt. Am Ende geht es darum, dass die betreffenden Personen sagen: „Mensch, das habe ich damals ganz anders verstanden.“ oder „Das habe ich ganz anders gesehen.“

Mitzuerleben, wie schnell sich das Ganze in unserem Prozess auflöst, finde ich immer wieder verrückt. Es zeigt, wie herausfordernd und kompliziert die menschliche Kommunikation ist. Wie schnell es zu Verwicklungen und Missverständnissen kommen kann, die dann eine Eigendynamik entwickeln und wie wichtig es ist, sich im Alltag die Zeit zu nehmen, um nachzufragen, wenn es eine Irritation gibt: „Wie hast du das gemeint?“, „Ich habe das nicht richtig verstanden.“ oder „Kannst du noch mal für mich wiederholen, was du eigentlich sagen wolltest?“.

EHV: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Nicole Berse-Schaks: Das ist schwer zu sagen. Ich schaue auf den Konflikt, wenn er verworren und verwickelt ist. Manchmal geht es um Sätze wie: „Ach Mensch, das passt jetzt aber nicht so. Das müssen wir aber anders machen.“ Diese Sätze sind als sachliche Aussage gemeint im Sinne von: „Ich brauche hier eine Veränderung in der Organisation oder im Ablauf!“ Die Person, die den Satz empfängt, nimmt ihn auf einer persönlichen Ebene auf. Im Sinne von: „Ich habe jetzt schlechte Arbeit gemacht. Ich bin ein schlechter Mitarbeiter.“ oder „Hier wird überhaupt nicht gesehen, was ich schon alles geleistet habe. Jetzt kriege ich nur die Ansage, ich soll etwas anders machen.“

Das ist eine typische Situation. Nehmen wir Schulz von Thun und die 4 Seiten einer Nachricht. Das, was mit dem Mund gesprochen wird, ist nicht mehr mit dem identisch, was eigentlich gehört werden sollte. Die eigentliche Botschaft wird als persönliche Kränkung oder Verletzung aufgenommen. Das wirkt sich in der Beziehungsebene auf das geschäftliche Miteinander aus. So ergibt ein Missverständnis das nächste. Immer mehr Dinge werden falsch gehört oder verstanden und irgendwann funktioniert die Kommunikation gar nicht mehr.

EHV: Wie haben Sie Ihre eigenen Dozenten in Erinnerung?

Nicole Berse-Schaks: Ich habe sehr viele unterschiedliche Dozenten, unterschiedliche Hintergründe und unterschiedliche Herangehensweisen kennengelernt. Von jedem meiner Dozenten habe ich etwas mitgenommen. Die für mich prägendste Persönlichkeiten war Duss-von Werdt, ein Schweizer Mediator, der schon Ende 60 war und sehr viel Erfahrung mitgebracht hat. Er ist einer der Graswurzel-Mitbegründer der Mediation und ein ganz toller Mann.

Natürlich gibt unterschiedlichste andere Persönlichkeiten, von denen ich lernen und mir etwas abschauen konnte. Immer mit der Frage: Was passt da für mich? Lernen am Modell war wichtig für mich, um meinen eigenen Weg und meine eigene Balance als Dozentin zu finden.

EHV: Machen Sie heute etwas anders als Ihre Dozenten damals?

Nicole Berse-Schaks: Das ist für mich schwer zu beantworten, weil ich jetzt nicht mehr einzelne Situationen vor Augen habe. Das, was sich bei mir am meisten verändert hat, ist meine Einstellung zur Dynamik in der Gruppe. Das Lernen im Miteinander und im Ausprobieren, selbst in die Übungen und in den Austausch zu gehen.

Es ist wichtig, dass ich als Dozentin Inputs gebe und meine Erfahrung mit den Teilnehmenden teile. Das, was sie an Erkenntnissen und an Kompetenzen selbst mitbringen, ist das, was im gesamten Gruppen-Prozess diesen Mehrwert und das Positive ausmachen. Das hätte ich mir vielleicht von meinen früheren Dozenten und Dozentinnen noch mehr gewünscht. Dass sie die ganze Vielfalt an Lebenserfahrung, Lebenskompetenz und Professionalität der Menschen, die schon im Raum sitzen, einfließen lassen.

„Höre den Menschen, die mit dir reden, zu.“

EHV: Haben Sie Vorbilder?

Nicole Berse-Schaks: Ein großes Vorbild von mir ist Dr. Marshall Rosenberg. Er ist der Begründer der gewaltfreien Kommunikation und ein bedeutender Mediator und Friedensstifter. Wenn ich jetzt ganz groß denke, auch Mahatma Gandhi im Sinne von Transformation und Frieden bringen.“ Meine Mentorin Monika Oboth, von der ich ganz viel gelernt habe, was die Mediation in Teams und Gruppen angeht.

Von Hansjörg Schwartz habe ich auch viel mitgenommen. Viele, viele, viele Menschen sind meine Vorbilder. Meine Teilnehmenden in den Seminaren zählen ebenfalls dazu. Hier denke ich immer wieder: „Wow, toll, spannend und interessant.“ Beim miteinander und voneinander Lernen nimmt jeder von jedem Menschen etwas mit.

EHV: Haben Sie vor einem Seminar ein bestimmtes Ritual?

Nicole Berse-Schaks: Ja! Ein Ritual ist, am Tag vorher meine Flipcharts zu malen und mich auf den Ablauf einzustimmen. Ich schaue mir von der letzten Veranstaltung die Notizen an und erinnere mich an die Menschen, die da mit mir saßen. Ich mache Achtsamkeitsmeditation. Unmittelbar vor dem Seminar nehme ich mir eine Minute Zeit für mich, um bewusst zu atmen. So finde ich meinen Fokus.

EHV: Haben Sie schlechte Angewohnheiten?

Nicole Berse-Schaks: Ich bin auch nur ein Mensch, das ist das Spannende. Ich habe zwei Söhne, die mit fast 12 und 13 mitten in der Pubertät sind. Natürlich gibt es da Situationen, wo ich im Nachhinein denke, das hättest du jetzt anders machen können. Das präsentieren sie mir auf dem Butterbrot: „Du als Mediatorin, Mama, hättest das jetzt aber mal anders formulieren können.“

Die Kinderzimmer aufräumen ist der Klassiker. Wenn ich Dinge immer wieder sagen muss, verliere ich manchmal den Geduldsfaden und rede in einer Art und Weise, die vielleicht nicht so meditativ ist. Aber das finde ich menschlich. Ich bin eher ungeduldig. Durch die Meditation habe ich gelernt, mein Tempo zu drosseln, weil ich die Menschen in der Gruppe mitnehmen will und nicht zu schnell vorangehen möchte.

EHV: Wenden Sie die eigenen Lehren auch selbst im Privatleben an?

Nicole Berse-Schaks: Ja, in erster Linie für mich selbst im Sinne der Selbstreflexion. Andere Möglichkeiten, weitere Wege und mein Verhalten zu reflektieren: mit meinen Söhnen und mit meinem Mann. Wobei das nicht immer so gelingt, weil ich dann öfters die Rückmeldung bekomme: „Mama kannst du nicht mal wieder normal mit uns reden. Wir sind hier nicht im Seminar!“

Gleichzeitig ist die Qualität meiner Gespräche in privaten Kontexten anders geworden. Sie hat eine andere Tiefe. Wenn ich aktiv zuhöre, ohne meine eigenen Lösungen und Ideen zu geben, passiert etwas, was sonst im Miteinander nicht so passiert wäre.

EHV: Konnten Sie mit Ihren Fähigkeiten als Mediatorin Ihr privates Umfeld unterstützen?

Nicole Berse-Schaks: In meinem Bekanntenkreis habe ich den Ruf weg, eine vermittelnde Person zu sein. Als meine Kinder noch kleiner waren, habe ich im Vorstand des Kindergartens mitgearbeitet und sehr aktiv dazu beigetragen, glaube ich, dass die Konflikte in diesem Kindergarten konstruktiv gelöst wurden.

Auch im Kontext mit den Erziehern und Erzieherinnen, die dort gearbeitet haben. Da habe ich als Rückmeldung bekommen, dass ich sehr vermittelnd und konstruktiv agiert habe. Ansonsten als Coach, da ich gerne von meinen Freundinnen und von meinen Bekannten angefragt werde, wenn sie in Entscheidungssituationen sind, um einfach zuzuhören und um einen Impuls zu geben.

EHV: Haben Sie vor einem Seminar Lampenfieber?

Nicole Berse-Schaks: Lampenfieber ist zu viel gesagt. Ich weiß nie, was mich für Menschen erwarten. Besonders wenn wir mit einer Ausbildung beginnen. Das ist eine freudige Aufregung. Welche Menschen werden da sein? Mit welchen Personen werde ich zu tun haben? Wenn ich dann im Laufe dieser Ausbildung diese Menschen mehrmals sehe, frage ich mich, wie es ihnen geht. Was ist passiert? Lampenfieber ist es nicht, aber eine innere Anspannung und eine leichte Aufregung.

EHV: Wer möchte Mediator/in werden?

Nicole Berse-Schaks: In unseren Ausbildungsprogrammen haben wir Teilnehmer/innen aus den unterschiedlichsten Bereichen: aus der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Wirtschaft und dem Personalwesen. Wir hatten schon einen Pfarrer und eine Pfarrerin, einen Quantenphysiker, einen Schreiner und eine junge Metzgerin dabei, die Mediator oder Mediatorin geworden sind. Die Metzgerin war im eigenen Familienbetrieb tätig und sollte diesen übernehmen.

In jeder Gruppe steckt eine bunte Vielfalt von Menschen und Persönlichkeiten. Das macht diese tolle Mischung aus. Indem wir gemeinsam lernen, erhalten wir gleichzeitig Einblicke in andere Lebensbereiche.

EHV: Haben Sie ein Lehrbeispiel?

Nicole Berse-Schaks: Ja! Eine Übung, die wir immer an unserem ersten Ausbildungswochenende machen, ist „Der schöne Sekretär“. Es ist eine kleine Szene, in der sich die Teilnehmenden in folgende Situation hineinbegeben.

Anna und Bernd, die zehn Jahre verheiratet waren, haben eine tolle Hochzeitsreise nach Venedig gemacht. Dort haben sie als Zeichen ihrer Liebe in einem kleinen Antiquitätenladen einen wunderschönen barocken Sekretär gekauft. Nach 10 Jahren Ehe merken sie, es passt nicht mehr. Sie haben sich in allen Dingen gut geeinigt, bis auf die Frage: „Wer bekommt jetzt den Sekretär?“

Dazu gibt es eine kleine Übung mit Fragen. Es ist spannend und schön zu sehen, wie schon am ersten Wochenende ein so interaktiver und lebendiger Austausch zustande kommt.

EHV: Was haben Sie für sich selbst aus der Mediation mitgenommen?

Nicole Berse-Schaks: Die Mediation hat mich als Mensch gelehrt, dass es wertvoll und wichtig ist, in eigenen Konflikten immer mal wieder 2, 3 Schritte zurückzutreten. Ich schaue mir die Situation von außen an. Zu sehen: „Wie ist die Perspektive der anderen Person? Zu verstehen, dass meine Perspektive nicht die des anderen ist und dass das daran liegt, dass wir von ganz unterschiedlichen Seiten auf den Konflikt schauen.

Wenn ich mir das von außen anschaue, verstehe ich die Situation viel besser, um gemeinsam mit der Person als Konfliktpartner Lösungen und Ideen zu finden. Das ist eine große Erweiterung und Erleichterung im menschlichen Miteinander und im Kontext des Konflikts für mich.

EHV: Wie gehen Sie mit Menschen um, die nicht mit sich reden lassen?

Nicole Berse-Schaks: Erst mal nehme ich das auf. Ich glaube, Menschen, mit denen wir gar nicht reden können, gibt es nicht. Jeder hat einen unterschiedlichen Ausdruck, eine andere Strategie, wie er etwas zum Ausdruck bringt. Und es ist vielleicht eine Art und Weise, die meiner nicht entspricht.

Es sitzt jemand vor mir und schweigt. Dann ist es an mir, zusammenzufassen und zu sagen. „Ja, Herr Meier, ich sehe gerade Sie schweigen und ich frage mich: Was bedeutet dieses Schweigen?“ Ich versuche, mit Fragen und Fragen-Techniken tiefer zu gehen und ins Mitteilen zu kommen.

Wenn jemand sehr impulsiv, aufgeregt und aggressiv ist, nehme ich das im Sinne der Ersten-Hilfe-Empathie erst mal auf. Würdige es und sage: „Herr Meier, ich sehe, dieser Konflikt belastet Sie wirklich. Sie sind gerade richtig stinksauer über das, was Frau Schmidt gesagt hat. Ich würde das gerne verstehen. Können Sie mir vielleicht mal eine konkrete Situation aus Ihrem Alltag beschreiben, die Sie so aufgewühlt macht?“ Das heißt, ich gehe in den Dialog, stelle Fragen und formuliere um.

EHV: Der gute Rat fürs Leben?

Nicole Berse-Schaks: Zuhören. Höre den Menschen, die mit dir reden, zu. Versuche, dich in ihre Perspektive hineinzubegeben. Bevor du aus deiner Perspektive eine Lösung vorgibst. Zuhören und Verstehen sind wichtiger als sofort einen Ratschlag parat zu haben.